„Es gibt kein Richtig oder Falsch“

Dorothée Lange muss einen Moment überlegen. Sie ist nicht nur eine der fünf Teamer*innen in der Mathe-Kings & Mathe-Queens Ausstellung, sondern auch Tanzlehrerin. Gibt es eine Parallele zwischen der Ausstellungs- und der Tanzwelt? Sie sieht sie in der Autonomie. Die Kinder entscheiden in der Ausstellung selbst, was sie mit dem Angebot anstellen, wie sie die einzelnen Themeninseln bespielen. Und noch etwas sei ähnlich: „Es gibt kein Richtig oder Falsch“. Das sei auch beim Tanz so. Dinge entwickeln sich spontan im Tun, neue Perspektiven ergeben sich.

Die Mathe-Kings & Mathe-Queens Ausstellung war bereits zum dritten Mal im Kreishaus zu sehen: Nach 2006 und 2011 nun für acht Wochen bis Ende Juni 2019. Einzelne Themeninseln haben die Ausstellungsmacher*innen Nancy Hoenisch, Elisabeth Niggemeyer und der wamiki-Verlag (wamiki steht für „Was mit Kindern“) im Laufe der Jahre verändert. Aber – und da ist sich das ganze Team, das die Ausstellung im Kreishaus in Herford begleitete, einig – die Grundidee ist geblieben. Und sie passt auch nach 13 Jahren noch immer. „Die Idee der Ausstellung, dass Kinder selbstständig und individuell wahrgenommen werden und auch handeln, zieht sich durch. Sie war und ist auch mein Ansatz“, freut sich Dorothée Lange.

Und das, obwohl sich die Kita- und Schulwelt verändert hat. Die Kinder entdecken und ausprobieren zu lassen und quasi nebenbei auf diesem Weg aus Erfahrungen Wissen zu formen, war 2006 noch nicht so verbreitet. Inzwischen gehen Schulen und Kitas neue Wege. Kitas sind heute nicht mehr nur sozialfürsorgerische und pädagogische Einrichtungen, sondern auch Orte frühkindlicher Bildung. Auch die Grundschulen sind offener geworden: Frontalunterricht wird ergänzt durch offenere Bildungsformen, bei denen die Kinder mitbestimmen und entdecken.

All dies hat die Mathe-Kings & Mathe-Queens Ausstellung bereits 2006 gelebt. Die Ausstellung mit ihren Themeninseln weckt bis heute ganz spielerisch die Lust an der Mathematik. Das ist besonders wichtig und gut, weil Mathematik bei vielen Schüler*innen eher Frust als Lust hervorruft. Die Vier- bis Achtjährigen, die Zielgruppe der Ausstellung, erleben, dass Mathematik viel mit ihrem Alltag zu tun hat. „Mathe für Vierjährige ist Rhythmus, Musik, Tanz, steckt in Blumen, Früchten und Bäumen, im Tag und in der Nacht, in der Sonne und den Sternen, in den Jahreszeiten und im ganzen Universum“, sagte Nancy Hoenisch, die Pädagogin, die das Ausstellungskonzept mitentwickelte.

Begeistert nehmen die Kinder die Einladung an, eine Brücke zu bauen vom Konkreten, was dem kindlichen Denken in Bildern entspricht, zum Abstrakten, dem Denken in Einheiten und Symbolen. Die Brücke ruht auf sechs Pfeilern mathematischer Konzepte: Sortieren, Muster, Zahlen, Geometrie, Messen und Statistik. In der Ausstellung werden diese Pfeiler auf sechs thematischen Inseln erbaut, so steht etwa die die Insel „Durcheinander“ für den Pfeiler „Sortieren und Klassifizieren“. (mehr Informationen zur Ausstellung unter anderem in der Rubrik „Nachzulesen“ in der,Broschüre „Frühe Bildung macht Schule“, S. 31 ff und wamiki.de/ausstellung/mathekings)

Unterschiedliche Ansätze und Haltungen zeigen im Umgang mit der Ausstellung

Im Kreishaus breitet sich die Ausstellung im überdachten Innenhof aus. Die Teamer*innen begrüßen die Gruppen, geben Hinweise, achten auf die Zeiten, sorgen insgesamt für einen geschützten Rahmen. Wenn gewünscht und nötig, begleiten sie die Gruppen auch durch die Ausstellung. In jedem Fall gehen die Fachkräfte mit – Erzieher*innen, Pädagog*innen und Lehrende. Es sei spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Fachkräfte an die Ausstellung herangehen, sagt Dorothée Lange. Manche ließen einzelne Themeninseln weg, um in den 90 Minuten den Blick der Kinder zu fokussieren. Andere setzten sich mit den Kindern auf die Teppichböden, spielten mit, wieder andere würden eher beobachten. „Da zeigen sich unterschiedliche Ansätze und Haltungen“, sagt die 32-jährige Diplom-Pädagogin, „die allermeisten kommen mit einem Plan in die Ausstellung“. Dafür sorgen auch Vorbereitungsworkshops, die Kita & Co mit den Fachkräften im Vorlauf veranstaltet. Dort werden sie über das Konzept und die Möglichkeiten der Ausstellung informiert.

Dorothée Lange beobachtet eine große Dankbarkeit der Fachkräfte. „Sie nehmen Ideen für ihre Einrichtungen mit. Und manche erinnern sich an Materialien, die bislang eher in der Ecke lagen und nun reaktiviert werden können“. Manchmal bringen die Fachkräfte auch eigene Ideen mit in die Ausstellung. So habe eine Erzieherin ein Spiel angeleitet, bei dem die Kinder Zahlen abhüpfen. „Das kannte ich auch noch nicht“, sagt die Teamerin, die über die Jahre bei allen drei Ausstellungen im Kreishaus dabei war.

Sie ist sich zudem sicher, dass alle Kinder reichlich mitnehmen. „Für sie ist der Tag super spannend, erst die Anreise mit Bus oder Zug, dann das unbekannte Kreishaus und dann die tolle Ausstellung. Das bleibt in Erinnerung, da gibt es zu Hause viel zu erzählen“. Einige der rund 1.800 Kinder, die die Ausstellung besuchten, fanden es so spannend, dass sie ihre Eltern animierten nochmals mit ihnen hinzugehen. Dies war an zwei offenen Ausstellungsterminen möglich.

Die Teamerin freut sich auch über die manchmal überraschenden Wege der Kinder. Ein Beispiel: Die Aufgabe, Pinsel zu sortieren, löste ein Kind nicht dadurch, dass sie Pinsel nach ihrem Aussehen oder der Pinselgröße sortierte, sondern nach den klein aufgedruckten Zahlen am Pinselschaft.

Dorothée Lange, die seit Jahren auch „Mathe zum Anfassen“, ein Kooperationsprojekt von Kita & Co und der Stadtbibliothek anleitet, das 2011 ein Ergebnis der damaligen Mathe-Ausstellung im Kreishaus war, verrät noch zwei Dinge: Ihre Lieblingsinsel sei die Muster-Insel, wo es darum geht, Ähnliches zu entdecken und Unterschiede wahrzunehmen. Und sie hat ein persönliches Fazit, was den Mehrwert angeht: „Das größte Plus gewinnen aus meiner Sicht die Fachkräfte, weil sie hier die Möglichkeit haben, viele Ideen mitzunehmen oder zu entwickeln, die sie dann in ihren Einrichtungen umsetzen können“.

Mathematik und Sprache gehören zusammen

Kita & Co nutzt die Impulse der Ausstellung, um an deren Themen weiterzuarbeiten. Dazu hat sich Anfang Juli eine Entwicklungsgruppe getroffen. Die dort beteiligten Fachkräfte waren zuvor mit den Kindern in der Ausstellung. Nun arbeiten sie daran, die Themen auf ihre Einrichtungen zu übertragen. Greifbare Ergebnisse nach den Ausstellungen 2006 und 2011 waren beispielsweise, dass Mathe-Ecken in Schulen und Kitas entstanden und mit Mathe-Koffern bestückt wurden.

Dieses Mal wird es darum gehen, Wege zu finden, Mathematik mit Sprache zu verknüpfen. „Mathematik kommt nicht ohne Sprache aus“, weiß Kristina Hellweg, Projektleiterin von Kita & Co. Spannend findet es Dagmar Bögeholz, Sprache mit Mathematik zu verbinden und hier einen Methodenkoffer zu entwickeln. Sie ist im Bildungsbüro des Kreises Herford, bei dem auch Kita & Co angesiedelt ist, für die Sprachkompetenzentwicklung zuständig. „Auch Dreiecke und Vierecke werden erst zu solchen, wenn sie so benannt werden“, sagt sie.

Praktisch verbindet sich Mathematik und Sprache in der Schule, wenn etwa Rechenwege beschrieben werden. Und sie verweist auf die besondere Rolle der Fachkräfte: „Sie sind die Sprachvorbilder“. Carolin Engfer bestätigt dies. Sie war wie Dorothée Lange Teamerin in der Ausstellung und studiert Mathe, Deutsch und Sport, um Grundschullehrerin zu werden. „Sprachsensibel zu sein, heißt dass die Fachkräfte genau darauf schauen, wie sie mit den Kindern sprechen, etwa in ihren Rückmeldungen auf das, was die Kinder in der Ausstellung entdeckt haben“.

„Mathematik und Sprache sind für uns wichtige Themen“, sagt Kristina Hellweg, „zu beiden Themen machen wir immer wieder Angebote“. So hat Kita & Co in Kooperation und auch alleine Sprachcamps im Programm, ein Angebot in den Ferien, in denen Sprache über kreative Wege wie Theater entwickelt wird. „Sprachkompetenz ist das A und O für den Bildungsweg“, sagt Kristina Hellweg, „und auch für die  allgemeine Entwicklung. Eine gemeinsame Sprache ist nötig, um mit anderen zu kommunizieren, Lösungen zu finden und das Miteinander zu gestalten“.